Donnerstag, 23. Februar 2017

💗   Nachtrag zum Modul - Trialog und Perspektivwechsel

Dieses Modul aufzuschreiben, kostete mich viel Kraft. Gleichzeitig bedeutet es für mich die Aufarbeitung eines Traumas, das ich schon so lange mit mir trage.
Meine Rückenschmerzen sind nicht wirklich weg, doch ich achte eben auch meine Bewegungen.
Die Nächte sind wieder normal, mein Seelenzustand einigermaßen im Gleichgewicht. Beim Schreiben dieser Seiten hatte ich Bauchschmerzen, eiskalte Finger und Tränen liefen mir über das Gesicht.
Doch ich bin dankbar für diese Erfahrung, es bringt mich wieder ein kleines Stück näher an mich heran. Ich will Euch sagen: das Leben ist schön und ihr seid ein Teil davon, danke.


15. Tag - Mein ganz persönlicher Absturz

Was soll ich schreiben? Wo fang ich an? Wie konnte das passieren?
Die Nacht war ganz gut, ich habe zwar nicht tief geschlafen doch mittlerweile ist das an den Ex-In-Wochenenden auch normal. Um 7.00 Uhr bin ich aufgewacht und fühlte ein Gefühl in mir hochsteigen, dass mich an meine Flitterwochen erinnerte. Zur damaligen Reise nach Salzburg habe ich gar keine gute Erinnerung, denn ich wurde ins Krankenhaus eingeliefert: Diagnose Nervenzusammenbruch. Und genau so erlebte ich es wieder: ich gab alles von mir, hatte schreckliche Gedanken an Aufgabe und Hoffnungslosigkeit. Mein geliebter Mann weilte in Thailand, ihn konnte ich nicht greifen. Panik kam hoch, ich lief wie ein Tiger im Kreis und versuchte mich abzulenken. Ich hatte großen Hunger, doch konnte nichts essen. Angstzustände, alles könnte wieder so werden, wie früher. Nicht noch einmal durch die Hölle und zurück. Ich versuchte meine Gedanken zu ordnen und an die letzten Module zu denken, worauf kann ich zurückgreifen, wenn ich die Anzeichen kenne? Ich rief dann einen Teilnehmer an, mit dem ich zwischenzeitlich befreundet bin. Seine beruhigenden Worte taten gut und ich schaffte es, Toast zu essen und mich für den Kurs zu richten. Er wollte mich abholen, doch ich versicherte ihm dass ich selbst fahren kann. Ich hatte ja die Option heimzugehen, wenn es gar nicht anders geht. Insgeheim wusste ich, dass das ein wichtiger Weg für mich ist. Dort angekommen, nahm mich gleich mein Dozent zur Seite und bot mir seine Hilfe an. Eigentlich zeigte sich dann die Dynamik der Gruppe, ich wurde aufgefangen und versorgt. Ich musste nur äußern was ich brauchte. In der Blitzrunde erzählte ich unter Weinen und Schluchzen wie es mir ging, was das gestrige Rollenspiel bei mir auslöste und dass mir erst jetzt ganz bewusst wurde, was ich Jahrzehnte versuchte: eine liebe Tochter zu sein, die darauf wartete, geliebt zu werden. Immer und immer wieder gab ich alles, verzichtete auf vieles, ordnete mich unter. Nur das was ich erwartete und erhoffte, sollte es für mich nicht geben. Ich wurde vertröstet oder missachtet, bis heute ist das so. Seit Weihnachten habe ich keinen Kontakt mehr zu meiner Mutter, mein Verlangen nach Liebe von ihr ist verschwunden. Meine Zukunft findet ohne meine Familie statt, und das habe ich in dieser Krise klar für mich entschieden. Ich kann und will so nie wieder leiden. Schluss damit!! Jetzt bin ich dran.

Die Kursteilnehmer waren alle betroffen, manche haben geschwiegen, andere haben mit mir geweint. Wie sollte jetzt ein Unterricht stattfinden? Ich wurde gefragt, was mir jetzt gut tun würde und ich sagte einfach: Bewegung. So gingen wir alle geschlossen für eine halbe Stunde spazieren, jeder in Gedanken oder in leisem Gespräch. Während dieser Zeit kamen meine Lebensgeister wieder zum Vorschein, meine Geist beruhigte sich. Im Seminarraum zurück hatten wir eine weitere Aufgabe: in Kleingruppen sollten wir ausarbeiten, was Genesungsbegleiter als: Fürsprecher, Gruppenleiter, Hoffnungsträger, Übersetzer/Vermittler und die Politik bedeutet. Meine Gruppenmitglieder kümmerten sich rührend um mich: ich bekam Massage, Tee, Kekse. Langsam konnte ich auch wieder mitdenken. Das Zittern hörte auf, aber ich hatte im Lendenwirbelbereich heftige Schmerzen. Konnte kaum atmen oder mich bewegen, ich war erstarrt. So geschockt war ich von der Erkenntnis die ich plötzlich erlang. Ob ich wollte oder nicht, mein Körper zeigte mir wo ich stehe.

Mittagspause.

Nach einem Teller Spätzle mit Soße und einem Joghurt, einem Konzert mit Gitarre und Flöte kam mein Lachen zurück, viele nahmen mich in den Arm und freuten sich für mich. Wir besprachen noch die Termine für die Referate, die wir über unser Leben halten sollen (ich bin im Mai dran:) ).
Dann die Blitzrunde zum Abschied. Ich wollte als Erste anfangen und mich bei meiner Gruppe bedanken, dass sie mir geholfen haben, nicht aufzugeben. Dann hörte ich aber von vielen, dass ich ein großes Vorbild für sie bin. Ich wäre so stark. Viele gaben zu, dass sie nicht gekommen wären. Die Kraft hätten sie nicht gehabt. Wir alle waren sehr platt, emotional überfordert und wir wollten nur nach Hause und die Ruhe fühlen.

So fuhr ich auch nach Hause mit einem guten Gefühl. Nadine kümmerte sich sehr rührend um mich und wir hatten noch ein gutes Gespräch. Später kam noch Henning und wir haben gegessen und einen schönen, lustigen und doch todtraurigen Film geschaut. So ging der Tag langsam zu Ende. Was nehme ich davon mit? Eine weitere Erkenntnis habe ich: man kann über seine Grenzen gehen und es schaffen. Und dieses Mal habe ich es ganz alleine aus diesem Tal geschafft, nur ich und meinen Willen, endlich ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Dazu brauche ich nicht viel, nur Geduld und die Situation und das Gefühl so anzunehmen wie es gerade ist. Innezuhalten und zu spüren, was ich in diesem Moment brauche.


Meine Genesungsbegleiter waren heute meine Hoffnungsträger. Sie haben ihre Sache super gemacht.
Herzlichen Dank dafür!!!!

Mittwoch, 22. Februar 2017


immer noch Tag 14.

Nach der Kaffeepause wurden noch die Überschneidungen besprochen, denn so klar abgrenzen kann man die Erwartungen nicht. Wenn Ihr genau die Ergebnisse gelesen habt, konntet Ihr feststellen, dass manche Punkte auch bei einer anderen Gruppe auftauchen.

Unsere zweite Trialogübung: Perspektivdreieck-Trialog, das heißt, die drei Gruppen verteilen sich auf die drei Seiten eines Dreiecks (Angehörige / Profis / Erfahrene), jede/r spricht aus der jeweiligen Perspektive und wandert nach 10. Minuten zur nächsten Seite. Ich kann ja nur von mir sprechen, doch bei der Gruppe Angehörige und Erfahrene konnte ich viel beitragen, da ich ja die Situationen gut kenne; eigentlich waren es von allen Gruppen nur gegenseitige Vorwürfe. Es ging um Themen wie Unterbringung, Medikation, Therapieformen, zu wenig Gesprächstermine usw. Wir alle haben eben diese Beobachtungen selbst erlebt und möchten dies auch öffentlich machen. Auch das ist ein langer Weg, den wir geduldig gehen werden.

Mittagspause.

Durch die Unterbrechung wurden wir neu gestärkt. Manche gehen in der Mittagspause spazieren, andere halten einen Dialog und wieder andere machen Musik mit Gitarre, Querflöte und allerlei Schlaginstrumente. Das ist richtig entspannend und als Gruppe wachsen wir immer mehr zusammen.

Ein Dozent brachte uns dann in Bewegung, indem wir eine Körperübung im geschlossenen Kreis machten und im Rhythmus der Teilnehmer so langsam im Kreis gehen, immer im Einklang mit dem Nebenmann. So konnte man die Augen schließen und sich ganz tragen lassen.
Weiter ging es mit einem Trialogischen Rollenspiel I: die besetzenden Rollen waren: Psychiatrieerfahrener, Schwester oder Bruder, Vater und Mutter, Bezugsbetreuer (dies ist sein dritter Einsatz heute) und Beobachter (macht Notizen). Ich hatte die Rolle des Beobachters und verfolgte die Szene und hörte aufmerksam dem Gespräch zu. Alle Beteiligten spielten ihre Rolle richtig gut, besonders der Betreuer hat super reagiert und klare Regeln im Beisein der Eltern aufgestellt und den Psychiatrieerfahrenen aus der Situation geholt, zu seinem Schutz. Als Betroffener ist es schwer, seine Meinung zu vertreten und auch dabei zu bleiben. Oft wird man unter Druck gesetzt und reagiert dann so, wie der Angehörige es will. Auch, weil man dann in Ruhe gelassen wird. Es wird alles geschluckt, weil man nicht weiß, wie man diese schwierige Zeit sonst ertragen kann. Man wird ganz klein und unsicher, langsam aber sicher verschwindet man.

Anschließend mussten wir beim Trialogischen Rollenspiel II die Rollen tauschen. Folgende Situation: Betroffener, der sich nahe oder in einer psychischen Krise befindet, ist zu Weihnachten nach vielen Monaten erstmals wieder "daheim". Mutter/Vater haben ihn lange überreden müssen, damit er überhaupt kommt. In dieser Familie spielt der Alkohol eine große Rolle. Die Familie sitzt am Tisch, als es zu einem Streit kommt, in dessen Verlauf eine oder beide Elternteile zunehmend den Sohn unter Druck setzen und die Situation eskaliert. Der Sohn ruft seinen Betreuer an und verlässt die Familie.
Soweit sind die Rollen klar besetzt, ich wollte meine Mutter spielen (ist oft betrunken und sucht immer Gelegenheiten, weiterzutrinken; aggressiv und bestimmend), ein Teilnehmer spielt den Vater (dieser ist eher ruhig). Ich wollte einfach mal wissen wie es sich anfühlt, wenn man Familienangehörige und vor allem sein Kind so verletzend behandelt und demütigt. Genau diese Situation herrschte bei uns sehr, sehr oft; nicht nur an Weihnachten. Im Alltag, bei Freunden, in der Gaststätte, beim Einkaufen. Ich war ständig in Gedanken fluchtbereit und zog den Kopf ein.
Also fingen wir an....... und nach nur 5 Minuten tauschten mein Teilnehmer und ich die Rollen, ohne Absprache. Ich konnte gar nicht meine Mutter spielen, da er meine Rolle übernahm, jedoch in einer Art und Weise, die uns alle überraschte. Er spielte sein Sache sehr sicher, ich wurde immer kleiner, sank in mich zusammen und sah auf einmal meine Mutter da sitzen. Ich habe im Geiste einfach die Gesichter ausgetauscht und habe mich 40 Jahre zurückversetzt in unser Wohnzimmer. Der Teilnehmer, der den Sohn spielte, fing nach kurzen Ansprachen und Protesten wirklich an zu weinen und ist aufgestanden um zu gehen. Er ging auch, um kurz später wieder zu kommen und es nochmals zu versuchen. Keine Chance, er wurde wieder in Grund und Boden geschrien. Der Teilnehmer, der den Vater spielte, kam aus seiner Rolle gar nicht mehr heraus. Ich konnte gar nichts mehr fühlen, nur Ohnmacht und Sprachlosigkeit. Habe ich das Gesehene und Gehörte wirklich so lange ertragen? Habe ich wirklich immer wieder versucht, gute Stimmung nach so einem Krach zu machen? Mit dem Ergebnis: ausgelacht und weggeschickt.
Der Dozent hat dann auf einmal das Rollenspiel gestoppt, er lief aus dem Ruder. Ich weiß nicht, ob ihr nachempfinden könnt, was in uns vorging. Stille, große Betroffenheit und Fragen, wie so was passieren konnte. Zusammen versuchten wir uns zu beruhigen und uns zu fragen, was in jedem Einzelnen dabei vorging. Der Teilnehmer, der den Vater spielte, war über sich selbst so schockiert. Er konnte nicht glauben was er da gespielt hat (sein Vater war Alkoholiker, was er danach erzählte). Auch in den anderen Gruppen gingen manche an die frische Luft, ein Dozent zur Betreuung mit. Ganz im Innern sitzen noch Dinge, die man so im Alltag nicht spürt. Diese tiefe Verletzungen kommen bei solchen Begegnungen dann nach draußen, mit voller Wucht. Mein persönliches Fazit: das war eine Familienaufstellung mit lebenden Figuren. Und das geht ganz schön unter die Haut.

Kaffeepause.

Der Tag war aber noch nicht zu Ende. Nach der Pause durften wir einen Filmausschnitt über "20 Jahre Trialog" anschauen, doch keiner konnte sich so richtig konzentrieren. Der Kopf war übervoll, die Emotionen beherrschten die Gedanken, wir hatten Mühe sitzenzubleiben.

Kleiner Hinweis. Wer mehr über Trialog wissen will: www.trialog-psychoseseminar.de

Feierabend, endlich nach Hause. Ich ging noch einkaufen, kochte mir etwas Leckeres und dann versuchte ich zu schlafen, oberflächlich aber ganz gut.
14. Tag - Perspektivwechsel

Gestern haben wir ja schon gelernt und erlebt, wie ein Trialog ablaufen kann. Ein Trialog hilft nicht, eine Lösung zu finden, sondern ist ein informeller Austausch, soll das Verständnis füreinander wecken und sich gegenseitig stehen lassen. Soweit so gut, aber ich habe mittlerweile gelernt, dass die praktischen Übungen immer sehr nachhaltig sind und einen noch eine ganze Weile beschäftigen.

Unsere erste Trialogübung: a.)Was erwarte ich als Angehöriger von Profis/Erfahrenen? b.) Was erwarte ich als Profi von Erfahrenen/Angehörigen? c.) Was erwarte ich als Erfahrener von Angehörigen/Profis? ... im gemeinsamen trialogischen Miteinander? Wo überschneiden sich die Erwartungen der drei Gruppen?

Unsere Ergebnisse der drei Gruppen könnt Ihr hier sehen:



Kaffeepause.

Montag, 20. Februar 2017

13. Tag - Trialog

Das ist jetzt schon das 5. Modul und damit fast schon Halbzeit, und damit ist der Grundkurs auch abgeschlossen. Es folgt mit dem nächsten Modul dann der Aufbaukurs, und ich habe schon gehört dass es noch schwerer werden wird. Geht das noch?

Dieser Tag war ein Überraschungspaket, denn wir wussten nicht was es heißt, in einen Trialog zu gehen. Vor längerer Zeit erhielten wir eine Einladung dazu, auch durften wir Angehörige und Betreuer oder unsere Psychotherapeuten hierzu einladen. Pit war ja leider nicht da, aber meine beiden Kinder kamen, und diese Runde bestand zum Schluss aus ca. 40 Personen.
Bevor die Gäste eintrafen, hatten wir noch eine kurze Einleitung was ein Trialog ist, seit wann es ihn gibt und wie die Kultur eines Trialoges aussieht. Die Kultur eines Trialoges soll: Geschichten erzählen, nach Sinn suchen, ein subjektiver Austausch sein, akzeptiertes Chaos und die Suche nach individuellen Wegen.

Kaffeepause.

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde wurden wir in 3 Gruppen aufgeteilt, in der jeweils ein Thema gewählt wurde, das dann in der großen Runde zur Diskussion gestellt war. Meine Kinder waren in unterschiedlichen Gruppen, so hatten wir leider gar keinen Anteil an dem Anderen. Erst wieder im großen Kreis als es darum ging, über ein Thema abzustimmen. Und dieses Thema lautete: Wie gehen Profis, Betroffene und Angehörige mit der Angst um? Da von jeder Gruppe genügend Vertreter waren, kam ein interessanter und abwechslungsreicher Trialog zustande. Die Sicht einer Betroffenen kenne ich ja, die der Angehörigen zu hören war eine weitere neue Sichtweise für mich, vor allem, als sich meine Kinder zu Wort meldeten und über ihre Eindrücke sprachen. Ich war tief im Herzen sehr gerührt, das hatte ich vorher von ihnen nicht gehört. In der Vergangenheit und während meiner Krankheit sprachen wir leider auch nicht mit unseren Kindern darüber. Wir wollten sie schützen, indem wir so gut es ging versuchten, die Depression von mir zu verbergen. Heute würde ich es nicht mehr so entscheiden, damals war ich ja auch noch nicht so reich an Wissen wie heute.
Ich fand es sehr interessant, wie Profis mit ihrer Angst umgehen, wenn ein Notfall eingeliefert wird. Wie sie es schaffen, neutral zu bleiben und emotional das Erlebte aushalten. Eine Psychologin hat geschildert, dass es beruflich für sie nicht so schlimm ist, mit den Patienten umzugehen. Das findet auf der beruflichen Ebene statt, aber in ihrem Familienkreis haben sie im Moment auch eine betroffenen Angehörigen und das macht ihr zu schafften, weil es sie in der emotionalen Ebene trifft.
Da ist  sie dann manchmal auch machtlos und verzweifelt.

Kaffeepause.

Nachdem die Gäste dann verabschiedet wurden, fand noch eine kleine Nachbesprechung und eine Blitzlichtrunde statt. Auch in diesem kleinen Kreis gab es viele verschiedene Meinungen und Gedanken dazu, das alles wirkt in mir nach. Ich kann nicht rausgehen und den Schalter umlegen und sagen, gut war es. Denn das ganze Diskutieren und Besprechen hat mit meinem Innersten zu tun. Mit meinem Leben, meiner Vergangenheit. Damit gilt es umzugehen und einen Weg zu finden, bei allen Krisen die noch kommen sollten, die Hoffnung nie zu verlieren und den Mut zu haben, weiterzugehen.