Mittwoch, 22. Februar 2017


immer noch Tag 14.

Nach der Kaffeepause wurden noch die Überschneidungen besprochen, denn so klar abgrenzen kann man die Erwartungen nicht. Wenn Ihr genau die Ergebnisse gelesen habt, konntet Ihr feststellen, dass manche Punkte auch bei einer anderen Gruppe auftauchen.

Unsere zweite Trialogübung: Perspektivdreieck-Trialog, das heißt, die drei Gruppen verteilen sich auf die drei Seiten eines Dreiecks (Angehörige / Profis / Erfahrene), jede/r spricht aus der jeweiligen Perspektive und wandert nach 10. Minuten zur nächsten Seite. Ich kann ja nur von mir sprechen, doch bei der Gruppe Angehörige und Erfahrene konnte ich viel beitragen, da ich ja die Situationen gut kenne; eigentlich waren es von allen Gruppen nur gegenseitige Vorwürfe. Es ging um Themen wie Unterbringung, Medikation, Therapieformen, zu wenig Gesprächstermine usw. Wir alle haben eben diese Beobachtungen selbst erlebt und möchten dies auch öffentlich machen. Auch das ist ein langer Weg, den wir geduldig gehen werden.

Mittagspause.

Durch die Unterbrechung wurden wir neu gestärkt. Manche gehen in der Mittagspause spazieren, andere halten einen Dialog und wieder andere machen Musik mit Gitarre, Querflöte und allerlei Schlaginstrumente. Das ist richtig entspannend und als Gruppe wachsen wir immer mehr zusammen.

Ein Dozent brachte uns dann in Bewegung, indem wir eine Körperübung im geschlossenen Kreis machten und im Rhythmus der Teilnehmer so langsam im Kreis gehen, immer im Einklang mit dem Nebenmann. So konnte man die Augen schließen und sich ganz tragen lassen.
Weiter ging es mit einem Trialogischen Rollenspiel I: die besetzenden Rollen waren: Psychiatrieerfahrener, Schwester oder Bruder, Vater und Mutter, Bezugsbetreuer (dies ist sein dritter Einsatz heute) und Beobachter (macht Notizen). Ich hatte die Rolle des Beobachters und verfolgte die Szene und hörte aufmerksam dem Gespräch zu. Alle Beteiligten spielten ihre Rolle richtig gut, besonders der Betreuer hat super reagiert und klare Regeln im Beisein der Eltern aufgestellt und den Psychiatrieerfahrenen aus der Situation geholt, zu seinem Schutz. Als Betroffener ist es schwer, seine Meinung zu vertreten und auch dabei zu bleiben. Oft wird man unter Druck gesetzt und reagiert dann so, wie der Angehörige es will. Auch, weil man dann in Ruhe gelassen wird. Es wird alles geschluckt, weil man nicht weiß, wie man diese schwierige Zeit sonst ertragen kann. Man wird ganz klein und unsicher, langsam aber sicher verschwindet man.

Anschließend mussten wir beim Trialogischen Rollenspiel II die Rollen tauschen. Folgende Situation: Betroffener, der sich nahe oder in einer psychischen Krise befindet, ist zu Weihnachten nach vielen Monaten erstmals wieder "daheim". Mutter/Vater haben ihn lange überreden müssen, damit er überhaupt kommt. In dieser Familie spielt der Alkohol eine große Rolle. Die Familie sitzt am Tisch, als es zu einem Streit kommt, in dessen Verlauf eine oder beide Elternteile zunehmend den Sohn unter Druck setzen und die Situation eskaliert. Der Sohn ruft seinen Betreuer an und verlässt die Familie.
Soweit sind die Rollen klar besetzt, ich wollte meine Mutter spielen (ist oft betrunken und sucht immer Gelegenheiten, weiterzutrinken; aggressiv und bestimmend), ein Teilnehmer spielt den Vater (dieser ist eher ruhig). Ich wollte einfach mal wissen wie es sich anfühlt, wenn man Familienangehörige und vor allem sein Kind so verletzend behandelt und demütigt. Genau diese Situation herrschte bei uns sehr, sehr oft; nicht nur an Weihnachten. Im Alltag, bei Freunden, in der Gaststätte, beim Einkaufen. Ich war ständig in Gedanken fluchtbereit und zog den Kopf ein.
Also fingen wir an....... und nach nur 5 Minuten tauschten mein Teilnehmer und ich die Rollen, ohne Absprache. Ich konnte gar nicht meine Mutter spielen, da er meine Rolle übernahm, jedoch in einer Art und Weise, die uns alle überraschte. Er spielte sein Sache sehr sicher, ich wurde immer kleiner, sank in mich zusammen und sah auf einmal meine Mutter da sitzen. Ich habe im Geiste einfach die Gesichter ausgetauscht und habe mich 40 Jahre zurückversetzt in unser Wohnzimmer. Der Teilnehmer, der den Sohn spielte, fing nach kurzen Ansprachen und Protesten wirklich an zu weinen und ist aufgestanden um zu gehen. Er ging auch, um kurz später wieder zu kommen und es nochmals zu versuchen. Keine Chance, er wurde wieder in Grund und Boden geschrien. Der Teilnehmer, der den Vater spielte, kam aus seiner Rolle gar nicht mehr heraus. Ich konnte gar nichts mehr fühlen, nur Ohnmacht und Sprachlosigkeit. Habe ich das Gesehene und Gehörte wirklich so lange ertragen? Habe ich wirklich immer wieder versucht, gute Stimmung nach so einem Krach zu machen? Mit dem Ergebnis: ausgelacht und weggeschickt.
Der Dozent hat dann auf einmal das Rollenspiel gestoppt, er lief aus dem Ruder. Ich weiß nicht, ob ihr nachempfinden könnt, was in uns vorging. Stille, große Betroffenheit und Fragen, wie so was passieren konnte. Zusammen versuchten wir uns zu beruhigen und uns zu fragen, was in jedem Einzelnen dabei vorging. Der Teilnehmer, der den Vater spielte, war über sich selbst so schockiert. Er konnte nicht glauben was er da gespielt hat (sein Vater war Alkoholiker, was er danach erzählte). Auch in den anderen Gruppen gingen manche an die frische Luft, ein Dozent zur Betreuung mit. Ganz im Innern sitzen noch Dinge, die man so im Alltag nicht spürt. Diese tiefe Verletzungen kommen bei solchen Begegnungen dann nach draußen, mit voller Wucht. Mein persönliches Fazit: das war eine Familienaufstellung mit lebenden Figuren. Und das geht ganz schön unter die Haut.

Kaffeepause.

Der Tag war aber noch nicht zu Ende. Nach der Pause durften wir einen Filmausschnitt über "20 Jahre Trialog" anschauen, doch keiner konnte sich so richtig konzentrieren. Der Kopf war übervoll, die Emotionen beherrschten die Gedanken, wir hatten Mühe sitzenzubleiben.

Kleiner Hinweis. Wer mehr über Trialog wissen will: www.trialog-psychoseseminar.de

Feierabend, endlich nach Hause. Ich ging noch einkaufen, kochte mir etwas Leckeres und dann versuchte ich zu schlafen, oberflächlich aber ganz gut.

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